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Erinnerung

Unsere Erinnerungen sind ein Teil unserer Identität, sie machen uns zu der Person, die wir sind, und sind dennoch vollumfänglich subjektiv. Während die äußeren Umstände in manchen Fällen zwar von Menschen, die dabei gewesen sind, bestätigt werden können, existieren die Empfindungen, die Details, die Gefühle, die unsere Erinnerungen maßgeblich bestimmen, nur in unserer eigenen Wahrnehmung.

Gedämmtes Licht, ein im Wohnzimmer aufgestellter Tannenbaum, geschmückt mit Lichtern, zauberhaft glitzernden Baumkugeln und funkelnden Figuren. Vom Baum halb verdeckt ein Sprossenfenster, vollständig vom Frost überzogen mit den schönsten Eisblumen, so dass kein Blick nach draußen mehr möglich ist. Lediglich Nuancen von Licht und Dunkelheit lassen sich verschwommen erkennen. Ein Tisch steht in Mitten des langgezogenen Raumes, welcher durch eine schmale Flügeltür vom Rest des Hauses getrennt wird. Ein leises stetes Stimmgewirr der am Tisch sitzenden Familie, lässt dennoch deutlich die leisen gemächlichen Schritte draußen hinter dem Fenster vernehmen. Ein Knistern schwerer Stiefel auf dem Schnee gepaart mit dem Knistern der Luft im Raum, lässt die Spannung die in Erwartung von etwas Großem immer weiter ansteigt, ins kaum Erträgliche steigen. Ein leises Quietschen ertönt, als die Flügeltür sich öffnet. Ein Mann mit einem langen weißen Bart, gehüllt in einen weiten Mantel, mit einem großen, schwer anmutenden Beutel auf der Schulter, betritt den Raum.

Während wir Kinder, gut vorbereitet, Gedichte vortragen und dafür hübsch verpackte Päckchen überreicht bekommen, beschäftigt mich allein der Gedanke, dass meine liebste Großmutter diesen für uns so besonderen Moment verpasst, diesen nicht mit uns teilen kann, weil sie kurz vorher den Raum verlässt, um eine weitere Leckerei aus der Küche an den Tisch zu bringen.

Die Erinnerung an dieses Gefühl, des verpassten gemeinsamen Moments, ist auch nach vielen vergangenen Jahren so präsent und deutlich spürbar, als wäre das alles eben erst geschehen, während der Inhalt der verteilten Päckchen längst mein Gedächtnis verlassen hat.

Meine Großmutter erzählte mir einige Jahre später, dass es ihre Schritte im Schnee waren, an die ich mich so deutlich erinnere, und dass es ihre Hände waren, die uns Kindern die Geschenke überreichten. Sie hatte an jenem Abend ebenso wie ich einen ganz besonderen Moment, als sie das Leuchten unserer Kinderaugen unerkannt, hinter einer Verkleidung aus Bart und Mantel, beobachten durfte. In Ihrem Herzen behält sie für immer ihre ganz eigene Erinnerung an diesen Abend, während meine mich jedes Jahr durch die Weihnachtszeit begleitet.

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