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Liebe

Sie saßen mir gegenüber. Ihre Stühle in dem großen Raum eng aneinandergerückt. Ihre linke Hand umfasste seine, während ihre rechte den Stift über den Patientenbogen führte, den sie versuchte auf ihrem Schoß möglichst ruhig in Balance zu halten.

„Wie stark sind deine Schmerzen jetzt? Von eins bis zehn.“, fragte sie ihn sanft.

„Jetzt habe ich keine Schmerzen.“ sagte er etwas wirsch. „Na, vielleicht sieben.“

Sie lächelte, nickte, notierte das besprochene gewissenhaft auf dem vor ihr liegenden Blatt, während er den Bewegungen ihrer Hand mit seinem Blick folgte…

Ich weiß nicht, wer sie sind oder wie sie heißen. Ich kenne weder ihre Geschichte, noch ihr Leben oder ihre Gefühlswelt. Sie sind lediglich zwei Besucher in einem beliebigen Wartezimmer. Vielleicht verbrachten sie ihr Leben gemeinsam oder lernten sich erst spät in ihrem Leben kennen.

Nichts von alldem scheint relevant, denn was ich sehen konnte war Liebe. Das, was man mit ebendiesem großen Wort beschreibt, dessen Bedeutung irgendwo zwischen Allem und Nichts steht. Das Gefühl, welches niemand treffend in Worte fassen kann, weil es für jeden Menschen etwas anderes bedeutet, in jeder Situation etwas anderes bedeutet, jeder Person gegenüber etwas anderes bedeutet. Sie betrifft nicht nur die Verliebten. Sie hinterlässt Spuren. Sie hinterlässt Wunden. Sie lässt uns das Leben spüren und lässt uns mit ebendiesem hadern. Sie verhilft uns zu dem größtmöglichen Glück und zeigt uns die größtmögliche Verzweiflung. Sie rettet unsere Seelen in schweren Zeiten und beschert uns ebenso selbstverständlich genau diese. Liebe sind die Tränen, die wir um jemanden vergießen. Liebe sind Freudentränen. Liebe ist die Hand, die wir halten und der Schmerz, den wir spüren.

Dass ausgerechnet heute Valentinstag ist, ist purer Zufall. Er feiert die Verliebten und lässt diese mit sich feiern. Die Liebe hingegen ist nicht immer fröhlich, sie ist nicht immer glücklich, und dennoch ist sie das einzigmögliche Glück. Sie ist oft dann am ehesten präsent, wenn uns eben nicht nach Feiern zu Mute ist. Liebe sind unsere Kinder und unsere Eltern, unsere Familien und unsere Freunde, erlebte Geschichten und solche, die nur in unserer Fantasie stattfinden um ebendiese Liebe zu zelebrieren. Und während der heutige Feiertag oft nur das Salz in der Wunde ist, die die Liebe im Laufe unseres Lebens hinterlassen hat, ist Liebe die Hand, die den Stift über den Patientenbogen führt, wenn unsere eigene Kraft dafür nicht mehr ausreicht…

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