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Der Tropfentaucher – Alles nur ein Traum? (2)

Als Gregor seine Augen wieder öffnete, schien alles so wie zuvor. Er schaute sich um. Wo war denn nur dieses Blatt mit den Tropfen? Hatte er es nicht eben noch in den Händen gehalten? Er spürte ein sanftes Kribbeln in den Fingern, während er in seinen Gedanken nach der Antwort suchte.

Ratlos erhob er sich leicht von seinem Platz und schaute sich noch einmal genau um. „Halb so wild“ dachte er, vermutlich hatte er es in Gedanken versunken schlicht fallen gelassen, aber nach dem gestrigen Regen würde es sicherlich etliche solcher Blätter auf seinem Baum geben. Doch als er genau hinsah, musste er feststellen, dass er keinerlei Tropfen mehr entdecken konnte. „Das ist ja merkwürdig“ sprach Gregor noch einmal mehr zu sich selbst. Es schien als hätten sich alle Tropfen in seiner Umgebung schlicht aus dem Staub gemacht. Statt ihrer Selbst hinterließen sie lediglich einen seidig schimmernden Film auf allem was Gregor umgab.

Gregor setzte sich zurück auf seinen Platz in der Verzweigung der alten Eiche. Es schien, als hätte jemand von einem Moment auf den anderen seine komplette Umgebung mit einer glänzenden Schicht durchscheinender Farbe bedeckt. Wie oft hatte er schon zugesehen, wenn seine Mutter, bevor die geladenen Gäste am Sonntag erschienen, sich noch eben schnell eine Schicht glänzenden Lack auf die Nägel ihrer so vertrauten, sanften Hände aufgetragen hatte. Ähnlich glänzten nun auch die Blätter, die er betrachtete. Ja selbst der Stamm der alten Eiche schien von dem schimmernden Glanz erfasst. „Frisch lackiert, aber wie? Und von wem?!“ schmunzelte Gregor.

Als Gregor unter sich in Richtung Boden schaute konnte er es kaum fassen. Er erhob sich, kletterte auf den untersten Ast der Eiche und sprang auf die Erde. Doch während er schon nach Bruchteilen einer Sekunde wieder festen Boden unter seinen Füßen erwartete, schien er von irgendeiner Kraft getragen in der Luft zu schweben. Er taumelte, ruderte mit den Armen um das Gleichgewicht nicht zu verlieren, streckte seine Füße, bemüht irgendwie seine Fußspitzen dem Boden näherbringen, doch all das half nicht im Geringsten.

Bei jeder einzelnen seiner Bewegungen fühlte er einen weichen und dennoch deutlichen Widerstand, ein wenig so als würde er, nach einem langen Tag am See, sich erschöpft durch das Wasser in Richtung Ufer kämpfen. Gregors Herzschlag beschleunigte sich, mit großen Augen schaute er um sich. „Nur keine Panik…tief durchatmen“ wiederholte er immer wieder in seinem Inneren. Trotz seines noch so jungen Alters war Gregor das Gesetz der Schwerkraft durchaus bekannt, so dass er sich in den logischen Windungen seines Verstandes sicher sein konnte, dass all das, was er in eben jenen Sekunden erlebte, unmöglich Realität sein konnte. Und dennoch fühlte er ihn, den wasserähnlichen Widerstand um sich herum, und dennoch sah er ihn deutlich unter sich – den Abstand zum Boden, der schlichtweg nicht kleiner werden wollte, so sehr sich Gregor auch bemühte.

Schon im nächsten Moment erfasste Gregor eine Art Windböe, die ihn ins Schwanken brachte. In langsamen Bewegungen wankte nun sein ganzer Körper von einer Seite zur anderen, als sei er ein Segelboot auf hoher See, das in seinen Bewegungen den aufkommenden Wellen folgt. Und obwohl Gregor für gewöhnlich jedes Abenteuer willkommen hieß, erfüllte ihn in diesem Moment einzig und alleine der Wunsch wieder festen Boden unter seinen Füßen zu spüren.

„Spring!“ erklang von irgendwoher eine geheimnisvolle Stimme. Gregor fuhr erschrocken zusammen. Er schaute zu allen Seiten, konnte aber niemanden entdecken.

„Du musst nochmal springen! Spring!“ erklang es erneut.

„Wer spricht da?“ fragte Gregor verwirrt während er dabei seinen Blick weiter um sich herumschweifen ließ. Seit er in diese merkwürdige Situation geraten war, waren dies die ersten Worte, die er laut aussprach. Sofort wurde ihm klar, dass auch seine Worte sich ebenso durch die schweren Luftmassen kämpfen mussten, bevor sie irgendwo ankommen konnten. Dies schien sein nicht sichtbares Gegenüber aber keinesfalls zu verwundern.

„Na, ich bin es“ klang es ruhig und besonnen, als wüsste jeder, der diese Antwort zu hören bekam, sofort mit wem er es zu tun hatte.

„Wer bist du?“ hakte Gregor noch einmal nach.

„Na ich bin ich. So wie du eben du bist.“ erklang es zurück.

Nun hatte Gregor endgültig genug. Er wollte nach Hause. Selbst die Aussicht auf das volle Haus, die Besucherkinder, mit denen er so wenig anfangen konnte, die ausufernden Gespräche der Erwachsenen – all das schien ihm nun gar nicht mehr so schlimm. Wäre er doch nur zuhause geblieben. Der Platz unter dem großen Tisch im Wohnzimmer hätte ihm wie immer Zuflucht geboten und Kater Blubb hätte ihm sicher auch gern Gesellschaft geleistet. Schließlich war er ein schlauer Kater, der die Vorzüge dieser Aktionen durchaus zu schätzen wusste. Denn selbst wenn niemand etwas aus versehen unter den Tisch fallen ließ, sorgte Gregor stets dafür, dass ihr Sonntags-Picknick für sie beide ausreichend köstlich ausfiel.

Und dennoch war er hier. Gefangen in einem Zustand der Schwebe, irgendwo wo sich Luft wie Wasser verhielt, wo sein Körper ihm nicht richtig zu gehorchen schien, wo selbst seine Worte sich nicht den Weg bannten, den sie gewohnt waren. Und nun auch noch der geheimnisvolle Gesprächspartner, der anstatt ihm zu helfen in Rätseln sprach.

Gregor schloss die Augen. Er atmete tief ein und versuchte all die Verwirrung, die er im Moment empfand, irgendwie loszulassen.

„Es ist ein Traum…es ist nur ein Traum“ sprach er ohne die Augen dabei zu öffnen.

„Aber nicht doch.“ schallte es nun erneut von irgendwoher zurück. „Das ist kein Traum. Du bist du, ich bin ich und wir sind hier. Muss man denn nicht schlafen um zu träumen? Und sind wir beide nicht hellwach?“ erkundigte sich der Unbekannte ohne eine Antwort auf seine Frage zu erwarten. „Du musst nur auf mich hören. Oder willst du endlos hier oben vor dich hin schweben?“

Auch wenn Gregor lieber schwieg als sich der unbekannten Stimme zu offenbaren, war er sich bei seiner Antwort doch zu hundert Prozent sicher. Das wollte er nicht. Um nichts in der Welt wollte er noch länger hilflos da oben sein, ohne festen Halt und ohne Ausweg.

„Springen.“ Wiederholte Gregor fast unhörbar leise die Worte seines Gegenübers. „Er hat „nochmal springen“ gesagt.“ Erneut schloss er seine Augen, nahm all seinen Mut und all seine Kraft zusammen, atmete tief durch, beugte leicht seine Knie und setzte zum Sprung an.

Und auch wenn er nicht Recht wusste, wie es ihm ohne festen Boden unter seinen Füßen gelang, beförderte seine Kraft ihn in die Luft und ließ ihn ein beachtliches Stück weiter unten landen. Wenn er jetzt seine Füße Richtung Boden streckte, konnte er bereits einzelne Grashalme mit seiner Fußspitze berühren. „Nur noch ein kleines Stück! Spring nochmal! “ rief die Stimme. Siegessicher nahm Gregor nochmal Schwung auf, versuchte nun auch mit seinen Armen, die Luftmassen um sich herum voller Elan nach hinten zu schieben und sich so gut es ging im Sprung nach vorne zu strecken. „Endlich!“ ging es ihm durch den Kopf, als er erschöpft und erleichtert auf der glänzenden Wiese landete.

Er ließ frei von jeglichen Gedanken seinen Oberkörper auf die Wiese fallen, streckte sich dann der Länge nach aus und sah in den Himmel. Nach wie vor schien die Sonne von einem beeindruckend wolkenlosen blauen Himmel. Gregor streckte seine Hand zur Seite aus, er strich mit den Fingerspitzen über die Grashalme zu seiner Rechten und genoss das ihm so vertraute Gefühl. Das Kitzeln der Gräser an seinen Fingern erinnerte ihn an die vielen Stunden, die er so gerne im Sommer im Schatten seiner Eiche verbrachte. Ein warmes Wohlgefühl durchströmte seinen Körper. Er genoss die Sonnenstrahlen in seinem Gesicht, ohne sie direkt anzusehen und ließ die sonnengetränkte Luft um sich herum in seine Lungen strömen.

Aber ja, auch hier ist noch lange nicht Schluss. Und wer spricht da eigentlich? Keine Sorge, bald gibt es die Auflösung…

Du willst die den Anfang der Geschichte nochmal ansehen? Dann folge einfach dem Link: Der Tropfentaucher (I)

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2 Kommentare zu „Der Tropfentaucher – Alles nur ein Traum? (2)“

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