„Wenn ich groß bin, werde ich Tropfentaucher!“ beschloss voller Begeisterung der kleine Gregor, während er die winzigen Glasperlen betrachtete, die der letzte Regen auf sämtlichen Blättern draußen liegen ließ. Die Erwachsenen schmunzelten über seine aberwitzige Idee.
„Wie? Das geht nicht? Außerdem müsste ich dafür klein werden? Hmm…“ überlegte er.
„Na dann eben ein kleiner bunter Käfer, der sich jeden Morgen, wenn die Sonne ihre ersten Strahlen zeigt, mit dem Wasser aus dem schönsten Tautropfen sein Gesicht waschen kann!“ rief er aus. Das Gelächter der anderen übertönte seine weiteren Gedanken. „Diese Ideen!“ hörte er die Erwachsenen sagen. „Kreativ ist es ja, aber wo soll das bloß noch hinführen!?“ grübelten sie. „Wir sagten ihm ja, er könne alles werden, aber doch nicht so!“ lachten sie immer lauter.


Der kleine Gregor war enttäuscht. Diese Besuche jeden Sonntag. Nie hatte ihn jemand gefragt, was er davon hielt. Die Erwachsenen besetzten das Wohnzimmer und die Küche. Die Kinder machten sich über seine Spielsachen her. Ganz ohne ihn zu fragen, brachten sie alles durcheinander. Und zu alledem musste er jedes Mal, wenn er von seinen Träumen sprach, das Gelächter der anderen über sich ergehen lassen. Die meiste Zeit während dieser nicht enden wollenden Besuche verbrachte er am liebsten unter dem großen Tisch im Wohnzimmer und lauschte den Gesprächen der Erwachsenen, während sie kaum Notiz von ihm nahmen. Manchmal, wenn die Sonne draußen vom Himmel schien, lief er in den Garten hinaus und tat dort das, was er am besten konnte – sich seiner Phantasie hingeben.
Für den heutigen Sonntag hatte er jedenfalls genug gehört und verzichtete gern auf seinen Stammplatz zwischen all den schwarzen und grauen Strümpfen. Was dachten die sich eigentlich? Bestimmte nun der mit den langweiligsten Strümpfen darüber, was alle anderen werden konnten und was nicht?
„Ohne mich!“ dachte sich der kleine Gregor und schlüpfte in einem günstigen Moment unbemerkt nach draußen. Bis die große Tafel für den Tee gedeckt war und seiner Mutter auffallen würde, dass sein Platz unbesetzt blieb, hatte er noch genügend Zeit für einen ausgiebigen Spaziergang. Er lief durch den Garten, passte auf, dass er nicht auf die sorgfältig in Reihen gepflanzten Kartoffeln trat, nahm Anlauf, sprang in die Luft, hoch über den Zaun und…Plasch! Machte es, als er auf der anderen Seite des Zauns wieder auf seinen Füßen landete. Er stand mitten in einer riesigen Pfütze. Die schmutzigen Tropfen bedeckten seine Schuhe, sammelten sich in Massen auf seinen Strümpfen, krochen einzeln an seinen Beinen in die Höhe, über die kurze Hose, bis hin zu dem strahlend weißen Hemd, dass er sonntags immer zu tragen hatte.
Bei seinem spontanen Fluchtplan hatte er ganz vergessen, dass all seine heutigen Zukunftspläne, die Ideen für das Tropfentauchen, dem großen Regen geschuldet waren, welchen am Abend zuvor über ihr Dorf hereingebrochen war.
Für einen kurzen Moment betrachtete er all die schmutzig braunen Tropfen. Ein Grinsen huschte über sein Gesicht – so hatte er sich das Tropfentauchen nun wirklich nicht vorgestellt. Es nützte nichts, er würde wohl oder übel zugeben müssen, dass er seine Zeit nicht damit vergeudet hatte, den Besucherkindern beim chaotischen Spiel Gesellschaft zu leisten.
Er strich die größten Tropfen mit dem Handrücken von seiner Kleidung und lief weiter zur alten Eiche, nur wenige hundert Meter von seinem Zuhause entfernt. Feuchte Gräser und Feldblumen streiften seine Beine, durchnässten seine Schuhe und hinterließen den einen oder anderen Kratzer. All das störte Gregor nicht im Geringsten. Dort oben, etwa zwei Meter von der Erde entfernt, konnte er mit seinen Träumen ganz für sich sein, ohne dass graue Strümpfe ständig dazwischen quatschten.
Gekonnt setzte er einen Fuß vor den anderen, wie er es schon hunderte Male getan hatte, der erste Ast, der zweite…schon war er da. Die Verzweigung dieses uralten Baumes war schlichtweg perfekt. Gerade so hoch, dass man sie problemlos erreichen konnte. Gerade hoch genug, dass man einen perfekten Ausblick über die umherliegenden Felder bekam. Und selbst Gregors Garten war von dort oben perfekt zu sehen, sodass er drohende Unwetter, die ab und an Zuhause aufkamen, mit sicherem Abstand kommen und gehen sehen konnte.


„Hier ist es perfekt!“ sagte der kleine Gregor mehr zu sich selbst, als um gehört zu werden, und schaute sich um. Jedes Blatt, jeder Ast, jeder Grashalm unter ihm, schienen ihm endlos Geschichten zuflüstern zu wollen, er musste nur genau genug hinhören. Direkt neben sich entdeckte er ein großes Eichenblatt, auf dem sich noch etliche Tropfen vom großen Regen versammelt hatten. Und während es für so viele Menschen nichts anderes als ein nasses Blatt gewesen wäre, entfaltete sich für Gregor darin eine unendliche Welt an Möglichkeiten.
Ein Sonnenstrahl fiel zwischen den Ästen hindurch, beleuchtete einzelne Tropfen mit seinem sanften Licht und ließ sie wie winzig kleine Lämpchen glühen.
Gregor lehnte seinen Kopf an den Stamm rechts neben sich und lies die Perlen auf dem Blatt, welches er jetzt in der Hand hielt, sanft von einer Seite zur anderen gleiten. Wenn er ganz genau in sie hineinschaute, konnte er zweifellos entdecken, dass in jedem einzelnen Tropfen seine gesamte Umgebung gefangen war. Selbst das Haus seiner Familie konnte er darin sehen. Er lachte laut auf, als er sah, wie das Haus plötzlich ins Rollen kam, als er das Blatt leicht zur Seite neigte.
Nun hielt er das Blatt mit den winzigen Glasperlen ganz nah an sein Gesicht, um jedes Detail genau erkennen zu können. „Da bin ja ich!“ rief er fröhlich aus. Sein lachen brachte das Blatt zum Beben. Die Tröpfchen zitterten und mit ihnen Gregors komplette Umgebung darin. Gregor fasste sich schnell und versuchte das Blatt auszubalancieren, bevor die Tropfen zu Boden fallen konnten. „Nochmal Glück gehabt“ seufzte er erleichtert. Beim Anblick des Blattes musste er allerdings feststellen, dass die einzelnen winzig kleinen Tropfen sich durch die Bewegung nun in der Mitte des Blattes versammelt und einen einzelnen viel größeren Tropfen gebildet hatten.
Er betrachtete die glänzende Oberfläche und fragte sich welche besonderen Kräfte es wohl nicht zuließen, dass der Tropfen auf dem Blatt zerlief und sich in ein schlichtes Nass verwandelte. Als er versuchte durch den Tropfen hindurchzuschauen, sah er in dem Garten seines Hauses einige der Besucherkinder umhertoben. Aber hier oben würden sie ihn nicht finden können. Ihr Anblick gab ihm lediglich die Sicherheit, dass er noch einige Minuten Zeit für sich hatte, bevor er wieder zu dem sonntäglichen Trubel zurückkehren musste. „Nur ein Versuch“ sagte er sich, streckte seinen Zeigefinger, brachte ihn so nah an den Tropfen heran, wie es nur möglich war ohne diesen zu berühren, schloss seine Augen und bewegte seine Hand langsam in Richtung der kleinen Perle.
Er spürte zunächst die Kühle, dann die Feuchtigkeit auf seiner Fingerspitze, er fühlte wie die Sonnenstrahlen sein Gesicht bedeckten und für einen kurzen Augenblick, hatte er das Gefühl, dass sich die Welt um ihn herum zu drehen begann…


Nein. Natürlich ist die Geschichte an dieser Stelle nicht zu Ende. Sie fängt gerade erst richtig an. Wie es weitergeht erfahrt ihr demnächst, hier auf www.fotofeder.de.
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Wundervoll geschrieben! Ich freue mich auf die Fortsetzung vom kleinen Gregor 😃
Ich freue mich so sehr über deine Rückmeldung! Danke, liebe Jenny!